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Beschluss des Landesparteitages vom 12. April 2008

12.04.2008
A 1 - Für gute Arbeit und Ausbildung
Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten steht das Ziel der Teilnahme aller Menschen am gesellschaftlichen Leben und Teilhabe am Reichtum unserer Gesellschaft im Mittelpunkt unserer politischen Aktivitäten. Diese Teilnahme und Teilhabe erfolgt auch heute noch im Wesentlichen über Erwerbsarbeit. Daher bekennen wir uns weiterhin zur Vollbeschäftigung als politisches Ziel und erteilen Modellen wie dem Grundeinkommen, das die Menschen langfristig vom Erwerbsleben ausschließt,  eine Absage. In den vergangenen Jahren ist es zu einem tief greifenden Wandel der Erwerbsarbeit gekommen. Die heutige Arbeitswelt ist geprägt von zunehmender Belastungsvielfalt, Arbeitsintensivierung, immer längeren und flexibleren Arbeitszeiten und unsicheren Arbeitsverhältnissen. Die Zahl der Leiharbeitsverhältnisse, befristeter Arbeitsverträge und neuer Formen von (Schein-)Selbstständigkeit hat dramatisch zugenommen. Von dieser Prekarisierung sind insbesondere BerufseinsteigerInnen betroffen. Hinzu kommt, dass die Interessenvertretung und die Mitbestimmung der Arbeitenden in vielen Betrieben immer weiter ausgehöhlt wird. Mit dem Argument des drohenden Arbeitsplatzverlustes wird eine in großen Teilen verunsicherte Belegschaft dazu gezwungen, eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und eine Einkommensreduzierung hinzunehmen. Gleichzeitig bedeutet heute ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben spätestens nach 12 Monaten bzw. mit dem Auslaufen des Arbeitslosengeldes, den sozialen Abstieg. Durch Befristungen, Unternehmensausgliederungen, Leiharbeit und die massive Zunahme niedrig entlohnter Beschäftigung ist Arbeit für viele keine sichere Lebensgrundlage mehr. Gleichzeitig wurden durch die Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre die Anforderungen an zumutbare Beschäftigung massiv herabgesetzt. Die Folge ist eine Zunahme prekärer Arbeitsbedingungen. Dem Trend entgegensteuern – Arbeit nicht um jeden Preis! Für uns bedeutet das Recht auf Arbeit nicht gleich Arbeit um jeden Preis! Unser Gegenmodell ist die „Gute Arbeit“. Gute Arbeit ist für uns eine Beschäftigung,  die nicht nur dem Lebensunterhalt dient, sondern auch der sozialen Teilhabe und Selbstverwirklichung des Menschen. Darüber hinaus ist ein Sozialstaat notwendig, der soziale Risiken wie Krankheit, Unfall oder Arbeitslosigkeit dauerhaft und verlässlich absichert und in diesen Fällen den Erwerbsausfall ausgleicht. Ohne die Gewissheit,  im Bedarfsfall nicht ins Bodenlose zu fallen, ist ein selbstbestimmtes Leben und Arbeiten nicht möglich. Gute Arbeit konkret Konkret bedeutet gute Arbeit für uns: Sichere Arbeitsverhältnisse Wer heute nicht weiß, ob, wo und wie er morgen Arbeit hat,  ist nicht nur in seinen beruflichen Perspektiven eingeschränkt,  sondern auch in seiner privaten Lebensgestaltung. Daher fordern wir, dass es im Bereich des Kündigungsschutzes keine weiteren Einschränkungen geben darf. Darüber hinaus müssen die gesetzlichen Regelungen zu befristeten Beschäftigungen so überarbeitet werden, dass Kettenbefristungen verhindert werden und eine Verdrängung regulärer Beschäftigungsverhältnisse ausgeschlossen wird. Verantwortliche Wirtschaftsförderung – Förderung wirtschaftlicher Verantwortlichkeit Der Staat kann und soll die Märkte nicht ersetzen. Aber er kann Leitmärkten Impulse geben. Eine strategische Industriepolitik setzt auf den Ausbau der qualitativen Vorsprünge unseres Wirtschaftsstandortes. Sie stärkt industrielle Kerne, zukunftsorientierte Dienstleistungen und Technologien sowie regionale Wirtschaftskompetenz. Diese Entwicklung wollen wir in Zusammenarbeit mit der EU genauso stärken wie die regionale Wirtschaftsförderung und eine regionalisierte Strukturpolitik. Subventionen dienen vor allem dazu, in beschäftigungsintensiven Wirtschaftsbereichen die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen von staatlicher Seite zu fördern. Diese Form der Wirtschaftsförderung bedarf wirksamer Kontrollmechanismen, um Missbrauch und Mitnahmeeffekte auszuschließen. Wir begrüßen die Umstellung der Wirtschaftsförderung im Land Bremen auf zurück zu zahlende Darlehen und fordern eine klare Benennung der Förderziele wie Beschäftigungszielzahlen und die wirksame Überprüfung der Einhaltung dieser Ziele. Damit wird klar: Der staatlichen Förderung von Unternehmen liegt ein klarer Zweck zugrunde, der von den Unternehmen zu jedem Zeitpunkt zu erfüllen ist. Erfüllen die Unternehmen die zugesagten Ziele nicht, ist die gezahlte Förderung zurückzufordern bzw. das zinsgünstige Darlehen zu kündigen. Den Ereignissen von Bochum, wo der Mobiltelefonhersteller Nokia erst viele Millionen Wirtschaftsförderung kassiert und wenig später das gesamte Werk schließen will, um die Produktion in Niedriglohnländer zu verlagern, muss die Politik ein klares Signal folgen lassen: Unternehmen, die nicht bereit sind, ihrer Verantwortung für die Beschäftigten gerecht zu werden und den Staat und seine Fördermittel als leichte Beute betrachten, fügen unserer Volkswirtschaft erheblichen Schaden zuhaben keinen Anspruch mehr auf irgendeine Förderung. Gerechte Löhne „Von Arbeit muss man Leben können“. In Deutschland ist dies jedoch nicht immer der Fall. 2007 mussten ca. 1,3 Millionen ArbeitnehmerInnen zu ihrem Gehalt ergänzend Arbeitslosengeld II (ALG II) beantragen. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes ist für uns daher Grundbedingung für gute Arbeit. Der Mindestlohn bedeutet für uns jedoch nur eine unterste Lohngrenze. Darüber hinaus muss gewährleistet sein, dass sich wirtschaftliches Wachstum auch im Einkommen der Beschäftigten niederschlägt. Während die Wirtschaft in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen ist, von den Beschäftigten jährlich neue Produktivrekorde erzielt wurden und die Gewinne der Unternehmen gestiegen sind, sind die Reallöhne in Deutschland gefallen. Die Bremer SPD unterstützt daher die Forderung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) nach klaren Lohnsteigerungen bei den Tarifabschlüssen in 2008. Auszubildende sind junge Erwerbstätige und werden in ihren Betrieben oft voll eingesetzt. Daher muss auch für sie gelten, dass von ihrem Einkommen ein selbstbestimmtes und  selbstfinanziertes Leben möglich ist. Dementsprechend muss die Ausbildungsvergütung angepasst werden. Betriebliche Mitbestimmung stärken- ArbeitnehmerInnenrechte sichern Unablässig für gute Arbeit sind der Schutz und die Fortentwicklung von Arbeitnehmerrechten. Neben einer wachsenden Zahl von Betrieben ohne Betriebsrat werden durch schrumpfende Stammbelegschaften immer mehr Beschäftigte von der betrieblichen Mitbestimmung ausgeschlossen. Dies gilt besonders für die „Boombranche“ Leiharbeit. Hier ist ein nicht zu akzeptierendes Zwei-Klassen-System von Beschäftigten im Betrieb entstanden, welches die Belegschaft spaltet, die Position  der Betriebsräte schwächt und so die Einflussmöglichkeiten der MitarbeiterInnen insgesamt verringert. Die Zahl der Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Dabei ist festzustellen, dass dieser Anstieg nicht mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze gleichzusetzen ist. Wir wollen, dass Leiharbeit eine Brücke in ein reguläres Arbeitsverhältnis ist. Es darf nicht zu Lohndumping oder zur Umgehung von Tarifverträgen kommen. Wir wollen daher einen Mindestlohn für Leiharbeit über die Einbeziehung der Leiharbeitsbranche in das Entsendegesetz. Unser Ziel ist es, dass die Beschäftigten in einem Betrieb zum Stammpersonal des Unternehmens zählen. Für die notwendige Eingrenzung prekärer Beschäftigungsverhältnisse ist die Beteiligung der Betriebsräte in den Unternehmen erforderlich. Daher muss die betriebliche Mitbestimmung gestärkt werden. Unabhängig davon müssen die bestehenden betrieblichen Mitbestimmungsmöglichkeiten konsequenter ausgeschöpft werden. Für Unternehmensformen, die von den bisherigen gesetzlichen Regelungen nicht erfasst werden, müssen alternative Formen der Wirtschaftsdemokratie entwickelt werden und die Rechte von ArbeitnehmerInnen gesichert werden. Dies gilt neben kleinen Betrieben ohne Betriebsrat und dem Schutz einer wachsenden Gruppe von prekär (Schein-) Selbstständigen, insbesondere für internationale Konzerne. In diesen Unternehmen sind die Betriebsräte der einzelnen Niederlassungen alleine oft machtlos. Wie die aktuellen Beispiele Nokia und Airbus zeigen, wird die Angst der Beschäftigten vor dem Abbau von Arbeitsplätzen am jeweiligen Standort genutzt, um die Belegschaften gegeneinander auszuspielen. Um dieser Entwicklung, zumindest in Europa, entgegenzutreten müssen die Kompetenzen der Eurobetriebsräte über das bisherige Informations- und Anhörungsrecht hinaus ausgeweitet werden, so dass sie den Beschäftigten wirkliche Einflussmöglichkeiten eröffnen. In einem ersten Schritt sind die Quoten für ihre Einrichtung zu senken und ihr Wahlprozedere zu vereinfachen. Moderne Arbeitszeitpolitik 1,474 Millionen bezahlte Überstunden wurden laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2007 in Deutschland geleistet, die Zahl der unbezahlten dürfte deutlich darüber liegen. Dies trotz 3,406 Millionen Arbeitslosen und obwohl die durchschnittliche Wochenstundenzahl von Vollzeitbeschäftigten in den letzten fünf Jahren gestiegen ist. Dieser Trend unterstreicht die These, dass genug (Erwerbs-)Arbeit da ist, sie aber nicht gerecht verteilt wird. Dies wird durch die wachsende Zahl der Teilzeit- und geringfügig Beschäftigten untermauert. Gerade für Frauen wird Teilzeitarbeit zur neuen Normalarbeitszeit. Nur noch 66 Prozent der weiblichen Beschäftigten sind Vollzeit beschäftigt – obwohl viele von ihnen gerne länger arbeiten wollen oder müssten, um ihren Lebensunterhalt decken zu können. Neben der ungleichen Verteilung von Arbeitszeit findet auch eine zunehmende Erosion der so genannten Kernarbeitszeit statt. Nacht- und Wochenendarbeit nehmen zu. Dies hat nicht nur weit reichende Konsequenzen für die Freizeitgestaltung, sondern auch gesundheitliche Folgen. Die Bremer SPD setzt sich daher für ein modernes Arbeitszeitmodell ein, welches die Kernarbeitszeit als Orientierungsrahmen erhält, Arbeit und Arbeitszeit gerechter verteilt und so langfristig zu angepassten Arbeitszeiten für alle führt, die individuelle Bedürfnisse berücksichtigen. Geschlechtergerechtigkeit - Gleichstellungsgesetz Gute Arbeit bedeutet auch gleich gute Chancen für berufliches Weiterkommen und leistungsgerechte Entlohnung- unabhängig von Geschlecht. Dies ist derzeit jedoch nicht der Fall. Immer noch erhalten Frauen für gleiche Arbeit weniger Lohn, werden so genannte „Frauenberufe“ schlechter bezahlt, als klassisch männerdominierte und scheitern Frauen an der so genannten „gläsernen Decke". Dass nur eine Frau es in die Chefetagen der 100 größten deutschen Unternehmen geschafft hat, spricht für sich. Wir fordern daher, dass der Grundsatz gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit endlich Realität wird. Wo Frauen und Männer trotz gleicher Arbeit unterschiedlich entlohnt werden müssen Beschäftigte und Betriebsrat aktiv werden. Darüber hinaus muss die Arbeit, die Frauen unter anderem in Pflege, Erziehung und Gesundheit leisten, in der Entlohnung Anerkennung finden. Dass zum Beispiel  eine Erzieherin derzeit nur knapp 2.000 Euro brutto verdient, ist nicht leistungsgerecht! Hierfür muss zunächst, die Einordnung von „Frauenberufen“ in den Entgeltgruppen des öffentlichen Dienstes bei den kommenden Tarifverhandlungen dementsprechend angepasst werden. Vom Ergebnis dieser Tarifverhandlungen muss ein Signal für andere Branchen ausgehen. Um den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen ist eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft nicht ausreichend. Wir fordern daher ein Gleichstellungsgesetz mit verbindlichen Zielvorgaben, damit Frauen in Wirtschaft, Forschung und Lehre die Hindernisse endlich durchbrechen können. Ohne gute Ausbildung keine gute Arbeit Ausbildung und Weiterbildung der ArbeitnehmerInnen entscheiden darüber, welche Tätigkeiten diese ausüben können. Wer jungen Menschen keinen Berufsabschluss ermöglicht, verweigert ihnen die Möglichkeit, ihr Leben selbst zu gestalten und eine Gesellschaft, innerhalb derer mit dem Abschluss einer Ausbildung die gesellschaftliche Position zementiert ist, hat sich von der Idee des sozialen Aufstiegs verabschiedet. Daher setzen wir uns nicht nur für die Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Ausbildungsplätzen, sondern auch für ein Recht auf Weiterbildung für alle ein. Ausbildung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Derzeit engagieren sich lediglich knapp ein Viertel aller Unternehmen in der Berufsausbildung. Nur sie tragen die Kosten des betrieblichen Teils der Ausbildung. Daher muss die Bundesrepublik eine aktivierende Berufsbildungsfinanzierung entwickeln, die vor allem den überdurchschnittlich ausbildungswilligen Klein- und Mittelbetrieben mit weniger als 100 Beschäftigte zugute kommt. Wir fordern die Abschaffung der Gebühren für die Kammerprüfung und die Einführung eines Ausbildungsbonus für Unternehmen, die überdurchschnittlich ausbilden. Wenn es mit diesen Instrumenten auch in Zukunft nicht gelingen sollte, die Lehrstellenlücke zu schließen und allen Bewerberinnen und Bewerbern einen qualifizierten Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen, werden wir uns für die Einführung einer Ausbildungsplatzumlage einsetzen. Im Bereich der Weiterbildung fordern wir die rasche Umsetzung der Umwandlung der Arbeitslosenversicherung in eine Beschäftigungsversicherung, wie im Hamburger Programm der SPD beschlossen. Mittelfristig müssen Weiterbildungsmaßnahmen für Beschäftigte wieder in den Leistungskatalog der Arbeitslosenversicherung aufgenommen werden. Mit dem Abschluss einer qualifizierten Ausbildung muss ein Hochschulzugang, zumindest in der entsprechenden Fachrichtung möglich sein. Weiterbildung ist aber nicht vorrangig Aufgabe staatlicher Stellen, sondern wie im Falle der Ausbildung Sache der Betriebe. Diese müssen stärker darauf verpflichtet werden, ihre MitarbeiterInnen weiterzuqualifizieren anstatt in regelmäßigen Abständen den FacharbeiterInnenmangel in Deutschland zu beklagen.